Rede zu Lebendspenden bei der Transplantation von Organen

Veröffentlicht am 14.05.2009 in Reden/Artikel

Meine Rede im Deutschen Bundestag vom 13. Mai 2009

Wir haben in Deutschland einen gravierenden Mangel an Spenderorganen. Nach wie vor stehen 12.000 Menschen auf den Wartelisten für dringend notwendige Organtransplantationen. Jeden Tag sterben in Deutschland im Durchschnitt etwa drei Menschen, weil nicht genügend Spenderorgane zur Verfügung stehen. Seit Inkrafttreten des Transplantationsgesetzes stagniert die Anzahl der gespendeten Organe. Trotz zahlreicher Öffentlichkeitskampagnen, die für die Organspende werben, gingen die Spendezahlen im vergangenen Jahr sogar zurück. Gleichzeitig legen Untersuchungen den Schluss nahe, dass bei weitem nicht alle Organe, die nach dem Tod möglicher Organspender prinzipiell zur Verfügung stehen könnten, auch wirklich erkannt und transplantiert werden.

Quer über die Grenzen unserer Fraktionen hinweg sind wir deshalb gefordert, uns der Frage zu stellen, mit welchen Maßnahmen wir uns dieser Entwicklung entgegenstellen können. Es muss Gründe dafür geben, weshalb die Zahl der gespendeten Organe bei uns in Deutschland zurückgeht, gleichzeitig aber in anderen europäischen Ländern. Die Ursachen für diese Unterschiede müssen wir finden und abstellen.

Ich danke den Kolleginnen und Kollegen aus der FDP-Fraktion dafür, dass wir uns auf der Basis ihres Antrages heute im Plenum des Deutschen Bundestages mit dem Thema Organspende auseinandersetzen können. Ich denke jedoch, es ist uns allen bewusst, dass wir mit unserer heutigen halbstündigen Debatte der Bedeutung dieses Themas nur im Ansatz genügen können. Wir sollten die heutige Debatte deshalb in meinen Augen als Startpunkt eines wichtigen Diskussionsprozesses begreifen, an dessen Ende der Deutsche Bundestag in der kommenden Wahlperiode über eine Weiterentwicklung des Transplantationsgesetzes zu entscheiden hat.

Neben rechtlichen und organisatorischen Fragen müssen wir dabei auch ethischen Abwägungen umfassenden Raum geben. Die Frage, inwieweit wir Lebendspenden bei der Transplantation von Organen erleichtern wollen, gehört zu diesen ethischen Aspekten.

Mit dem Transplantationsgesetz hat der Deutsche Bundestag 1997 die Organspende auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Mit der Verabschiedung des Gewebegesetzes vor zwei Jahren haben wir das Transplantationsgesetz an einigen Stellen an europäisches Recht angeglichen. Auf eine umfassendere Novellierung haben wir damals verzichtet, da die Anpassung der deutschen Rechtsnormen an europäisches Recht in Umsetzung der europäischen Geweberichtlinie keinen Aufschub duldete.
Für eine umfassendere Auseinandersetzung mit der Frage, inwiefern die Rahmenbedingungen des Transplantationsgesetzes für die Organspende in Deutschland verbessert werden sollten, fehlte uns damals die notwendige Zeit.

Mit der Verabschiedung des Gewebegesetzes im Mai 2007 haben wir mit den Stimmen der Mehrheit dieses Hauses das Bundesministerium für Gesundheit um einen Erfahrungsbericht zur Situation der Transplantationsmedizin in Deutschland gebeten. Der erste Teil dieses Berichtes liegt nun vor, ein zweiter Teil mit Ausführungen insbesondere zur Organisation der Organspende soll bis zum Herbst folgen. Im September 2007 hat eine Delegation des Gesundheitsausschusses eine Reise nach Spanien unternommen, um sich dort ausführlich über die gesetzlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen der Transplantationsmedizin zu informieren.

Bereits im Frühjahr 2007 hatte der Nationale Ethikrat in einer Stellungnahme eine Abkehr von der bei uns bislang praktizierten erweiterten Zustimmungslösung zur Entnahme von Organen vorgeschlagen. Anstelle dessen sprach sich der Ethikrat für ein Stufenmodell aus, dass Elemente einer Erklärungsregelung mit einer Widerspruchsregelung verbindet. Dem Vorschlag des Ethikrates zufolge sollte jeder und jedem die Möglichkeit gegeben werden, zu Lebzeiten eine Erklärung über die persönliche Bereitschaft zur Organspende abzugeben. Bei unterbliebener Erklärung sollte es möglich sein, Organe nach dem Tod entnehmen zu dürfen, solange die Angehörigen dieser Organentnahme nicht widersprechen.

Persönlich bin ich davon überzeugt, dass wir zu dieser Umkehr kommen müssen. Das setzt aber eine gesellschaftliche Diskussion darüber voraus, die eine belastbare Unterstützung für eine solche tiefgreifende Veränderung schafft.
Mit dem uns heute vorliegenden Antrag tritt die FDP-Fraktion dafür ein, die Lebendspende von Organen zu erleichtern. Es ist sicher richtig, diese Frage im Deutschen Bundestag zu erörtern. Es ist aber letztlich eine Frage, die unser Gewissen berührt und die wir ebenfalls in einem längeren Diskussionsprozess behandeln sollten. Und es ist für mein Dafürhalten keine Frage, die wir isoliert betrachten dürfen. Vielmehr müssen wir die Lebendspende und die postmortale Spende von Organen gemeinsam und auf ausgewogener Grundlage diskutieren. Ich befürchte, dass die verbleibenden Wochen bis zur Bundestagswahl in diesem Herbst für eine angemessene Auseinandersetzung mit diesen Aspekten nicht ausreichend sein werden.
Persönlich habe ich mit zwei Punkten des Antrags zur Erleichterung der Lebendspende Schwierigkeiten. Ich denke beispielsweise nicht, dass wir den Grundsatz der Subsidiarität der Lebendspende ersatzlos streichen sollten. Nach wie vor sollte eine Lebendspende erst dann erlaubt sein, wenn kein geeignetes postmortales Organ zur Verfügung steht. Denkbar wäre allerdings in meinen Augen, stärker als bislang auch medizinische Kriterien in die Abwägung zwischen postmortaler Spende und Lebendspende einzubeziehen. Wenn aus medizinischer Sicht durch eine Lebendspende bessere Ergebnisse als aus einer postmortalen Organspende erzielt werden können, sollte die Lebendspende möglich sein. Der grundsätzliche Vorrang der postmortalen Spende sollte aber auch weiterhin gelten.

Auch die Forderung nach Zulassung der Überkreuzspende trage ich nicht mit. Hier gilt es, neben den Interessen der Organempfänger auch die Belange des Spenderschutzes und das Risiko einer Drucksituation zu berücksichtigen. Ich glaube nicht, dass wir den Kreis der Lebendspende beliebig ausdehnen können. Ich befürchte, dass eine Zulassung der Lebendspende auch zwischen Personen, die in keinem persönlichem oder verwandtschaftlichem Näheverhältnis untereinander stehen, dazu führen könnte, dass sich potentielle Spender einem hohen moralischem Druck zugunsten einer Organspende ausgesetzt fühlen könnten. Auch könnte eine Ausweitung des Spenderkreises die Gefahr des Organhandels erhöhen. Eine Überkreuzspende führt dazu, dass der Kreis der Personen, die in die Entscheidung eingebunden sind, sich mindestens verdoppelt. Folglich tritt in der Diskussion ein Beziehungsgeflecht ein. Fragen von Freundschaft, Vertrauen, vielleicht auch Liebe gewinnen damit an Bedeutung. Die Sorgen vor erhandelten Lebendspenden müssen wir ernst nehmen und ausführlich diskutieren.
Auch wenn uns der zweite Teil des Erfahrungsberichtes mit dem Transplantationsgesetz, den das Bundesgesundheitsministerium derzeit vorbereitet, momentan noch nicht vorliegt, geben uns zahlreiche Stellungnahmen und Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeiten bereits heute Hinweise darauf, dass wir die Anzahl der postmortal gespendeten Organe deutlich steigern können. Eine Umwandlung der Zustimmungslösung hin zu einer abgestuften Widerspruchslösung, wie vom Nationalen Ethikrat vor zwei Jahren angeregt, kann hierzu sicherlich einen wichtigen Beitrag leisten. Unabhängig davon und jenseits von ethischen Aspekten gibt es in diesem Zusammenhang eine ganze Reihe von organisatorischen und auch rechtlichen Fragestellungen. Diesen Fragen sollten wir uns in der Debatte um die Weiterentwicklung des Transplantationsgesetzes ausführlich widmen.

Nach meiner Sicht der Dinge müssen wir Fehlanreize innerhalb des bestehenden Organentnahmeprozesses, die einer Steigerung der Spendeorgane entgegenstehen, beseitigen. Der Nationale Ethikrat hat in seinem Votum auf zahlreiche organisatorische Mängel im derzeit gelebten Transplantationssystem hingewiesen, darunter unter anderem auf die mangelhafte Erstattung bei der Explanation. Die Aufwandsentschädigungen für Spendenkrankenhäuser, so der Ethikrat vor zwei Jahren, sei nicht in allen Fällen geeignet, die tatsächlich entstehenden Kosten zu decken. Dem müssen wir nachgehen! Wir sind es den Menschen auf den Wartelisten für Spenderorgane schuldig, dass die finanziellen und organisatorischen Risiken von Krankenhäusern, die mögliche Spenderorgane melden und entnehmen, finanziell vollständig kompensiert werden. Keine Organspende darf aufgrund einer nicht ausreichenden Vergütung unterbleiben. Ganz im Gegenteil: Wir müssen alles dafür tun, die Bedingungen – auch finanzieller Art – für jedes Krankenhaus so zu setzen, dass die Erkennung möglicher Spenderorgane weiter gesteigert wird und dass jedes mögliche Spenderorgan auch tatsächlich gemeldet wird.

Nach meinem Dafürhalten sollten wir uns auch mit der Frage auseinandersetzen, ob die Monopolstruktur der Deutschen Stiftung für Organspende, die für die Koordinierung der Organspende in Deutschland verantwortlich ist und nur in geringem Maße der Rechtsaufsicht des Bundesgesundheitsministeriums unterliegt, nach wie vor die richtige Antwort auf die Erfahrungen der zurückliegenden Jahre sind. In meinen Augen würde eine stärker regionalisierte Koordination der Organspende unter der umfassenden Rechts- und Fachaufsicht des Bundesministeriums für Gesundheit die bessere Gewähr für die Erfüllung einer so wichtigen Aufgabe bieten. Gerade bei der Organvermittlung und der Organvergabe, bei der es im wahrsten Sinne des Wortes um Leben und Tod geht, ist es meines Erachtens von zentraler Bedeutung, für eine umfassende Transparenz zu sorgen. Mein Staatsverständnis sagt mir, dass dieses Maß an Transparenz nur mit umfänglichen Kontroll- und Durchgriffsrechten des Staates zuverlässig gewährleistet werden kann.

Ich betrachte unsere heutige Debatte als Beginn der parlamentarischen Auseinandersetzung um die Frage, wie wir unser Transplantationsgesetz auf der Basis unserer bisherigen Erfahrungen weiterentwickeln können, um die Anzahl der Spenderorgane über das heutige Maß hinaus zu steigern. Neben organisatorischen und rechtlichen Fragestellungen müssen wir uns hierbei auch wichtigen ethischen Aspekten widmen, die in der heutigen Debatte sicherlich keinen ausreichenden Raum finden können. Eine Entscheidung über die Lebendspende bei der Transplantation von Organen sollte deshalb gemeinsam mit Fragen zur Steigerung der Anzahl postmortaler Spenderorgane getroffen werden.

Abschließend möchte ich nicht nur den vielen Menschen danken, die Organe spenden und zur Spende bereit sind, sondern auch den Ärztinnen und Ärzten in unseren Krankenhäusern meinen großen Respekt aussprechen. Die Angehörigengespräche, die von ihnen vor einer Organentnahme zu führen sind, finden in einer schwierigen emotionalen Situation statt. Organspenderinnen und Organspender sind meist Opfer von Verkehrsunfällen oder unvorhergesehenen Hirnblutungen und werden mitten aus dem Leben gerissen. Jeden Tag werden in unseren Kliniken Gespräche mit den Angehörigen dieser oft jungen Organspenderinnen und Organspendern geführt, die ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen erfordern und unsere Anerkennung verdienen.

 

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