Die Bahnprivatisierung und ihre Risiken

Veröffentlicht am 27.08.2006 in Politik

Über den geplanten Ausverkauf einer öffentlichen Infrastruktur

Im Herbst 2006 soll der Bundestag über den Verkauf der Deutschen Bahn entscheiden. Kontrovers werden in der Öffentlichkeit und unter den politischen Entscheidungsträgern derzeit unterschiedliche Szenarien eines Börsenganges diskutiert, wobei es – vereinfachend dargestellt – hauptsächlich um die Frage geht, ob lediglich der für den Transport verantwortliche Konzernteil privatisiert werden soll oder ob auch die gesamte Infrastruktur des Schienennetzes an die Börse gebracht werden soll. Interessanterweise ist allerdings die politische Grundsatzentscheidung, ob die Bahn überhaupt privatisiert werden soll, nie getroffen worden – weder im Bundestag noch in unserer Partei.

Der Koalitionsvertrag zwischen SPD, CDU und CSU thematisiert zwar „die Gestaltung des Börsenganges“, wodurch eine vorangegangene Grundsatzentscheidung suggeriert wird, doch hat es diese Entscheidung nie gegeben! Bevor deshalb nun über eine mögliche eigentumsrechtliche Privatisierung der Deutschen Bahn AG entschieden werden soll, sollte zunächst einmal die Frage kritisch debattiert werden, ob eine solche Privatisierung wirklich dazu geeignet ist, unsere verkehrspolitischen Ziele zu realisieren – und ob die mit einer Privatisierung verbundenen Risiken zu rechtfertigen sind.

Diese Debatte erscheint umso wichtiger, wenn man sich den tatsächlichen Wert dieser bislang öffentlichen Infrastruktur und den zu erwartenden Erlös eines Börsenganges vor Augen führt.Mit der im Januar 1994 in Kraft getretenen Bahnreform wurden die damalige Deutsche Bundesbahn und die ostdeutsche Reichsbahn entschuldet und in die Deutsche Bahn AG überführt, ein privatrechtlich organisiertes Unternehmen in vollständigem Staatseigentum. Gleichzeitig ermöglichte der Gesetzgeber auch anderen Eisenbahnunternehmen den freien Zugang zum bestehenden Schienennetz und übertrug die Zuständigkeit für den Schienennahverkehr den Bundesländern. Damals verband man mit diesem Schritt hauptsächlich die Hoffnung, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen und den Bundeshaushalt nachhaltig entlasten zu können.

Leider wurden beide Ziele bislang nicht erreicht – die Anteile der Bahn im Personenverkehr blieben zwischen 1994 und 2004 gleich, während sich die Güterverkehrsanteile auf der Schiene sogar leicht reduzierten. Auch die Finanzleistungen des Bundes für den Verkehrsträger Schiene blieben in diesem Zeitraum konstant – von rund 18,9 Mrd. Euro in 1994 zu rund 18,7 Mrd. Euro in 2004. Insgesamt flossen in den Jahren 1994 bis 2004 etwa 213 Mrd. Euro vom Bundeshaushalt in das Eisenbahnwesen, Tendenz alles andere als fallend. Den Ausweg aus diesem unerfreulichen Reformergebnis sieht die Führung unserer Fraktion – gemeinsam mit der Fraktionsführung unseres Koalitionspartners und der Bundesregierung – nunmehr in der Privatisierung der Deutschen Bahn, also dem Verkauf der Bahnaktien, die sich bislang noch in Staatsbesitz befinden.

Von anfangs sieben unterschiedlichen Privatisierungsmodellen sind nach Vorentscheidungen durch den speziell eingerichteten Lenkungsausschuss der Bundesregierung und einer Arbeitsgruppe der Koalitionsfraktionen nunmehr drei Varianten übrig geblieben, die sich im Wesentlichen darin unterscheiden, ob die Deutsche Bahn als ganzes an die Börse geht oder die Netzsparte mitsamt der gesamten Infrastruktur im Bundeseigentum verbleibt. Das integrierte Modell mit Rückholoption sieht vor, dass die Bahn als gesamter Konzern privatisiert wird, der Bund jedoch nach bis zu 30 Jahren eine wie auch immer geartete Rückübertragungsmöglichkeit bei einem nachhaltigen Verfehlen bestimmter Qualitäts- und Infrastrukturziele des privatisierten Konzerns bekommen soll, ohne dass für diese Rückübertragungsmöglichkeit bislang jedoch ein Konzept existiert. Da der Bundesrepublik durch Artikel 87e unseres Grundgesetzes eine Infrastrukturverantwortung zufällt, müsste die Mehrheit der Aktien jedoch in staatlichem Besitz verbleiben.

Beim Eigentumsmodell soll der Bund zwar Eigentümer des Netzes bleiben, doch kann im Gegenzug die Deutsche Bahn AG mit ihren verbleibenden Sparten zu 100 Prozent an der Börse veräußert werden. In der Nießbrauch-Variante des Eigentumsmodells soll die (dann vollständig privatisierte) Deutsche Bahn AG über die Netzinfrastruktur verfügen dürfen, die lediglich formell im Bundeseigentum verbleibt. Das ursprünglich ebenfalls diskutierte Trennungsmodell, wonach lediglich das Transportunternehmen privatisiert wird, die Infrastruktur hingegen komplett beim Staat verbleibt, wird nicht mehr weiterverfolgt.

In der Diskussion um die verbliebenen Privatisierungsvarianten bleiben zentrale Fragen offen oder sind objektiv nicht verantwortlich zu lösen. So ist bei Realisierung eines wie auch immer ausgestalteten integrierten Modells ein Automatismus unübersehbar, der große finanzielle Verpflichtungen des Bundes erwarten lässt: Da der Staat mit seiner grundgesetzlichen Infrastrukturverantwortung mehrheitlicher Anteilseigner des börsennotierten Konzerns bleiben muss, ziehen Kapitalerhöhungen – die ja eine erklärte Absicht des Börsengangs zur Schöpfung von Investitionsgeldern sind – immer einen Investitionsbedarf des Bundes nach sich, selbst wenn der Bund im Aufsichtsrat von Arbeitnehmervertretern und Vertretern des privaten Kapitals überstimmt werden könnte. Gleiches wäre aus Kapitalerhöhungen abzuleiten, die vor dem Hintergrund möglicher Unternehmenszukäufe der Deutschen Bahn AG zur Verbesserung ihrer Marktpositionierung angestrebt sind. Wenn wir die Bahn mitsamt ihrer Netzinfrastruktur privatisieren, entledigen wir uns somit unserer Haushaltskontrolle, ohne jeweiligen Sinn und Zweck der Investitionsrichtung entscheiden zu können.

Die Haushaltsrisiken liegen weit über den erwarteten einmalig erfolgenden Haushaltseinnahmen aus dem Börsengang. Diesen könnte man sich nur entziehen durch eine volle Privatisierung, also durch eine Veräußerung der zunächst im Bundesbesitz verbleibenden Bundesanteile an dem dann privatisierten Konzern. Zu vermuten ist, dass dies auch die unausgesprochene Absicht hinter dem integrierten Modell ist. Der breite Infrastrukturauftrag der Bahn mit ihrer Verantwortung für die Fläche würde Zug um Zug den Renditeerwägungen des Kapitalmarktes geopfert. Diese zentralen Problempunkte einer Privatisierung der Bahn mit ihrem Schienennetz, aber auch die Probleme der anderen Modelle, werfen die Frage auf, ob eine wie auch immer geartete Privatisierung überhaupt sinnvoll ist. Die Frage drängt um so mehr, je deutlicher man sich den vergleichsweise geringen finanziellen Erlös einer Bahnprivatisierung in Relation zu dem Wert der Bahninfrastruktur vor Augen führt: Ein bereits in der letzten Legislaturperiode vom Bundestag in Auftrag gegebene PRIMON-Gutachten („Privatisierungsvarianten der DB AG mit und ohne Netz“) geht je nach Variante von 7,8 bis 23,3 Mrd. Euro „positiver Haushaltseffekte“ aus, die eine Veräußerung der Deutschen Bahn AG mit sich bringen würde. Dieser eher schön gerechnete Erlös stünde dem Bruttoanlagewert alleine des Netzes der Bahn in Höhe von mindestens 130 Mrd. Euro gegenüber. Gleichzeitig wären vor einer Privatisierung beträchtliche Schulden des Bahnkonzerns zu begleichen, so dass etwa der Berliner Finanzsenator Sarrazin den wirklichen Erlös einer Privatisierung auf nur etwa 2 Mrd. Euro taxiert. Diesem marginalen Erlös stünden zudem weitere Investitionsverpflichtungen des Bundes für die kommenden zehn Jahre in Höhe von etwa 25 Mrd. Euro entgegen, die jedoch in der Realität deutlich höher ausfallen dürften, ohne dass der Bund im Aufsichtsrat mehrheitlich über die Verwendung dieser Gelder entscheiden könnte. Möglichkeiten einer optimierten Bahn im öffentlichen Eigentum wurden hingegen nie durch ein entsprechendes Gutachten untersucht.

Dabei zeigt das Beispiel der Schweiz, dass ein landesweites Bahnsystem in fast vollständigem Staatsbesitz durchaus sehr erfolgreich sein kann. Umgekehrt zeigt das britische Beispiel, dass Privatisierungen genau das Gegenteil anfänglicher Effizienzbestrebungen bewirken können! Ich bin der festen Überzeugung, dass wir unser Ziel, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen, nicht durch eine Privatisierung, sondern am ehesten durch eine Erhöhung des Wettbewerbs verschiedener Bahnunternehmen in Deutschland erreichen können. Um unserer grundgesetzlichen Infrastrukturverantwortung gerecht werden zu können, muss dieser Wettbewerb in einen klaren gesetzlichen und wirtschaftlichen Rahmen eingebettet werden. Infrastrukturverantwortung heißt meiner Auffassung nach, dass das „natürliche Monopol“ des Netzes vollständig in öffentlichem Eigentum und Verfügungsmacht bleiben muss.

Wenn wir die Bahn mitsamt ihrem Netz und ihrer sonstigen Infrastruktur nun jedoch privatisieren, entledigen wir uns auf irreversible Weise unserer politischen, wirtschaftlichen und sozialen Gestaltungsmöglichkeiten – für den Preis eines geradezu lächerlichen Erlöses! Wie geht es nun weiter? Vor wenigen Tagen habe ich gemeinsam mit mehreren meiner Fraktionskolleginnen und -kollegen, darunter der ehemalige Bundesverkehrsminister Kurt Bodewig, der Träger des Alternativen Nobelpreises, Dr. Hermann Scheer, sowie die frühere Greenpeace-Geschäftsführerin und ehemalige niedersächsische Umweltministerin Monika Griefahn, einen offenen Brief an alle SPD-Bundestagsabgeordnete verfasst, die auf die bislang zu kurz gekommene fraktionsinterne Diskussion hinsichtlich einer Privatisierung der Bahn und die damit verbundenen Risiken aufmerksam macht. Dem Brief vorangegangen waren viele Gespräche und Diskussionen, unter anderem mit Vertretern des von Attac koordinierten Kampagnenbündnisses Bahn für Alle.

Als Reaktion auf unser Schreiben wird nun für Oktober eine fraktionsinterne Diskussion um das Thema Bahnprivatisierung anvisiert. Wir hoffen, dass sich unsere Fraktion am Ende der Debatte zumindest gegen die Privatisierung der Schieneninfrastruktur ausspricht – denn wenn das Netz erst einmal verkauft ist, können wir diese Entscheidung nicht mehr ändern!

 

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