Rede zur einem Antrag zur Erleichterung der Lebendspende bei Organtransplantationen

Veröffentlicht am 02.07.2009 in Reden/Artikel

Am 2. Juli 2009 habe ich im Deutschen Bundestag eine Rede zu einem FDP-Antrag zu Protokoll gegeben, der auf eine Erleichterung der Lebendspenden bei der Transplantation von Organen abzielt. Den Wortlaut meiner Rede finden Sie hier:

Am 13. Mai 2009 haben wir in Erster Lesung über den Antrag der FDP zur Erleichterung von Lebendspenden bei der Transplantation von Organen debattiert. Das ist noch nicht lange her. Es ist weniger der Thematik des Antrages, sondern mehr dem Ende der Legislaturperiode geschuldet, dass wir bereits heute abschließend über diesen Antrag zu befinden haben.

Wie ich in meiner Rede anlässlich der Ersten Lesung des Antrages ausgeführt habe, bin ich den Kolleginnen und Kollegen der FDP-Fraktion dafür dankbar, dass sie uns mit dem Antrag zur Lebendorganspende die Gelegenheit geben, uns mit diesem wichtigen Thema öffentlich auseinanderzusetzen. Jeden Tag sterben in Deutschland immer noch drei Menschen, weil wir zu wenig Spenderorgane zur Verfügung haben. Auf den Wartelisten für dringend notwendige Organspenden stehen 12.000 Menschen, die auf ein Spenderorgan warten. Gleichzeitig wissen wir, dass wir das Potential an transplantierbaren Spenderorganen nicht ausschöpfen.

Es ist deshalb wichtig, dass wir uns mit der Frage auseinandersetzen, wie wir die Zahl der Spenderorgane steigern können. Allerdings berücksichtigt der FDP-Antrag zur Erleichterung der Lebendspende von Organen nur einen von mehreren Aspekten, denen wir uns in diesem Zusammenhang ausführlich zuwenden sollten. Nach meinem Dafürhalten müssen wir Aspekte der Lebendspende gemeinsam mit der Frage diskutieren, wie wir die Anzahl der postmortal gespendeten Organe steigern können. Dabei spielen neben organisatorischen Fragen auch ethische Dimensionen eine große Rolle. Den heute abschließend beratenen Antrag der FDP-Fraktion habe ich deshalb in meiner Rede anlässlich der Ersten Lesung Mitte Mai als Startpunkt eines wichtigen Diskussionsprozesses bezeichnet, an dessen Ende der Deutsche Bundestag in der kommenden Wahlperiode über die Weiterentwicklung des Transplantationsgesetzes zu entscheiden hat.

Im Mai 2007 haben wir die europäische Geweberichtlinie in deutsches Recht umgesetzt und das Transplantationsgesetz an einigen Stellen an europäisches Recht angeglichen. Auch damals war uns bereits klar, dass für eine Optimierung des Organtransplantationsprozesses weitere Änderungen des Transplantationsgesetzes notwendig sind. Um diese Änderungen auf eine breite und möglichst ausgewogene Entscheidungsgrundlage zu stellen, haben wir damals mit den Stimmen der Mehrheit des Deutschen Bundestages das Bundesministerium für Gesundheit gebeten, einen Erfahrungsbericht zur Situation der Transplantationsmedizin in Deutschland zu erarbeiten und in diesem Wege zur Weiterentwicklung des Transplantationsgesetzes aufzuzeigen.

Der Bericht liegt dem Deutschen Bundestag seit dieser Woche vor. Damit ist die verbleibende Zeit zu knapp, noch in dieser Legislaturperiode eine Debatte über die gesetzlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen sowie die ethischen Dimensionen der Transplantation von Organen in Deutschland zu führen und am Ende dieser Debatte das Transplantationsgesetz weiterzuentwickeln. Auch können wir uns im Plenum und in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages aus Zeitgründen nicht einmal mehr mit den zentralen Ergebnissen des Berichts aus der letzten Woche auseinandersetzen. Angesichts der 12.000 Patientinnen und Patienten auf der Warteliste und angesichts von drei Menschen, die statistisch betrachtet pro Tag aufgrund der mangelnden Anzahl von Spenderorganen sterben, ist dies ein unbefriedigendes Ergebnis dieser Legislaturperiode. Ich hoffe, dass sich der nächste Deutsche Bundestag gleich nach der Bundestagswahl mit Verve diesem Thema erneut zuwenden wird.

Der uns in der letzten Woche vorgelegte ausführliche Bericht wird dem neugewählten Deutschen Bundestag hierbei die Chance geben, in einem strukturierten Verfahren nach vorne zu gehen. Ohne die anstehende Diskussion notwendigerweise präjudizieren zu wollen, lassen sich aus dem Bericht, aber auch aus weiteren Expertenbeiträgen wie etwa der Stellungnahme des Nationalen Ethikrates zur Organspende vom April 2007 sowie unterschiedlichen Fachveröffentlichungen zahlreiche organisatorische wie rechtliche Anknüpfungspunkte innerhalb des bestehenden Transplantationsprozesses zur deutlichen Steigerung der Anzahl der postmortal gespendeten Organe ableiten. Beispielhaft möchte ich an dieser Stelle drei Punkte herausgreifen, die nach meinem Dafürhalten in der kommenden Wahlperiode verstärkter Aufmerksamkeit bedürfen.

Der erste Punkt betrifft die Frage, inwiefern alle organisatorischen wie finanziellen Anreize, die innerhalb des derzeit bestehenden Transplantationswesens existieren, auf das Ziel ausgerichtet sind, möglichst alle Spenderorgane zu identifizieren und zu transplantieren. Der Nationale Ethikrat hat in seinem Votum vor zwei Jahren darauf verwiesen, dass die Erstattung der Kosten organentnehmender Krankenhäuser nicht in allen Fällen dazu geeignet ist, die entstandenen Kosten zu decken. Zudem kritisierte der Ethikrat mangelnde Sanktionen für die Krankenhäuser, die sich an der Organspende nicht oder nicht ausreichend beteiligen. In meinen Augen sollte sich der Deutsche Bundestag in der kommenden Legislaturperiode mit der Frage auseinandersetzen, inwiefern positive ökonomische Anreize, die über die reine Erstattung entstandener Kosten hinausgehen, nicht ein wirksames Instrument zur Verbesserung der Melderate darstellen könnten.

Mein zweiter Punkt betrifft die Frage, inwiefern die Monopolstellung der Deutschen Stiftung für Organspende ohne umfassende Rechts- und Fachaufsicht des Staates eine ausreichende organisatorische Gewähr für die möglichst optimale Koordination der Organspende in Deutschland und aller damit einhergehenden organisatorischen Rahmenbedingungen bieten kann. Aus meiner Sicht ist es gerade bei einer so wichtigen Aufgabe wie der Vermittlung und Vergabe von Organen von zentraler Bedeutung, ein Höchstmaß an Transparenz sicherzustellen. Dies spricht dafür, dem Staat durch die Gewährung von Aufsichtsrechten umfassende Kontroll- und Durchgriffsmöglichkeiten zu gewährleisten, damit Transparenz und demokratische Verantwortlichkeit jederzeit gewährleistet sind. In meinen Augen kann die Überwachungskommission, in der die Vertragspartner der DSO vertreten sind, diese notwendigerweise staatliche Aufgabe nicht alleine wahrnehmen. Ich vermag nicht zu erkennen, weshalb der Staat die umfassenden Aufsichtsrechte, über die er auch in anderen Bereichen des Gesundheitswesens verfügt, nicht auch in der Transplantationsmedizin verfügen sollte.

Der dritte Punkt, den ich an dieser Stelle beispielhaft hervorheben möchte, bezieht sich auf die Transplantationsbeauftragten in den Krankenhäusern. Ich denke, durch eine klare Aufgabenbeschreibung der Transplantationsbeauftragten mit einer organisatorisch stärkeren Einbindung in den Klinikalltag, mit einer angemessenen Vergütung und mit einer festgeschriebenen Freistellung der Transplantationsbeauftragten für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben innerhalb des Organtransplantationsprozesses ließe sich die Zahl postmortal gespendeter Organe deutlich verbessern.

Neben zahlreichen organisatorischen und aufsichtsrechtlichen Gesichtspunkten, auf die ich an dieser Stelle nur kurz eingegangen bin, sollte sich der nächste Deutsche Bundestag nach meinem Dafürhalten auch mit den ethischen Dimensionen des Transplantationswesens in Deutschland auseinandersetzen. Ich persönlich befürworte das Votum des Nationalen Ethikrats, der die bei uns bislang praktizierte erweiterte Zustimmungslösung zur Entnahme von Organen zugunsten eines Stufenmodells ablösen möchte, das Elemente einer Erklärungsregelung mit einer Widerspruchsregelung verbindet. Der Stellungnahme des Ethikrates zufolge sollte jeder und jedem die Möglichkeit gegeben werden, zu Lebzeiten eine Erklärung über die persönliche Bereitschaft zur Organspende abzugeben. Bei einer unterbliebenen Erklärung sollte es dann möglich sein, Organe nach dem Tod entnehmen zu dürfen, solange die Angehörigen dieser Organentnahme nicht widersprechen. Ich würde es sehr begrüßen, wenn unabhängig von den rechtlichen und organisatorischen Fragestellungen in der Weiterentwicklung des Transplantationsgesetzes in der kommenden Legislaturperiode aus der Mitte des Deutschen Bundestages heraus ein Gruppenantrag initiiert werden würde, der das vom Nationalen Ethikrat vorgeschlagene Stufenmodell im Deutschen Bundestag zur Abstimmung stellt und eine gesellschaftliche Diskussion hierüber anstößt, die eine belastbare Unterstützung für eine derart tiefgreifende Veränderung schaffen kann.

Auch die Aspekte hinsichtlich der Lebendspende, die in dem uns heute vorliegenden Antrag der FDP-Fraktion enthalten sind, berühren zahlreiche ethische Dimensionen, die vor einer abschließenden Befassung einen längeren Diskussionsprozess voraussetzen. Darüber hinaus sollten diese Fragen nach einer Erleichterung der Lebendspende nicht isoliert betrachtet, sondern mit den Fragen nach der Steigerung postmortal gespendeter Organe gemeinsam diskutiert werden.

Unabhängig davon habe ich persönlich allerdings insbesondere mit zwei der in den Antrag enthaltenen Punkte erhebliche Schwierigkeiten. Nach meinem Dafürhalten sollten wir den Grundsatz der Subsidiarität der Lebendspende nicht aus dem Transplantationsgesetz streichen. Vielmehr sollte eine Lebendspende erst dann erlaubt sein, wenn kein geeignetes postmortal gespendetes Organ zur Verfügung steht. Unbeschadet dessen wäre es jedoch in meinen Augen denkbar, stärker als bislang auch medizinische Kriterien in die Abwägung zwischen postmortaler Spende und Lebenspende miteinzubeziehen. Eine Lebendspende könnte erlaubt werden, wenn sich hiervon aus medizinischer Sicht bessere Ergebnisse als aus einer postmortalen Spende erwarten lassen würden. Grundsätzlich sollte diese Möglichkeit den Vorrang der postmortalen Spende aber nicht in Frage stellen.

Der zweite Punkt in dem vorliegenden Antrag, der mir erhebliche Schwierigkeiten bereitet, betrifft die darin vorgesehende Überkreuzspende. Hier gilt es nach meinem Dafürhalten, dem Spenderschutz und der Kommerzialisierungsgefahr weiterhin gerecht zu werden. Ich befürchte, dass eine Zulassung der Lebendspende auch zwischen Personen, die in keinem persönlichen oder verwandtschaftlichen Näheverhältnis zueinander stehen, dazu führen könnte, dass sich potentielle Spender einem hohen moralischen Druck zugunsten einer Organspende ausgesetzt fühlen könnten. Auch würde die Zulassung der Überkreuzspende durch die Ausweitung des Kreises der unmittelbar betroffenen Personen dazu führen, dass ganze Beziehungsgeflechte von der Entscheidung hinsichtlich einer Lebendspende betroffen wären und Fragen von Freundschaft, Vertrauen und vielleicht auch von Liebe an Bedeutung gewinnen. Die Sorge vor erhandelten Lebendspenden oder Lebendspenden, die unter Druck zustandegekommen sind, müssen wir im Sinne des Spenderschutzes ernst nehmen und ausführlich diskutieren.

Es ist wichtig, dass wir uns aus der Mitte des Parlaments heraus allen Aspekten der Organspende umfassend annehmen. Ich hoffe sehr, dass sich der neugewählte Deutsche Bundestag ausführlich den Fragen zur Steigerung der postmortalen Spende, zu den Rahmenbedingungen der Lebendspende und auch zur abgestuften Widerspruchslösung widmen wird. Wenngleich uns dies in dieser Legislaturperiode nicht gelungen ist, konnten wir mit den zwischenzeitlich erfüllten Berichtsaufträgen zur Verbreiterung der Entscheidungsgrundlage für den Deutschen Bundestag der kommenden Wahlperiode beitragen.

Sicherlich werden die Aspekte des FDP-Antrages, der uns heute zur Abstimmung vorliegt, in der inner- wie außerparlamentarischen Diskussion eine wichtige Rolle spielen. Ich kann dem Antrag in der Form, in der er uns nun zur Abstimmung vorliegt, allerdings nicht zustimmen.

 

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