Wie funktioniert Gemeinschaftsschule?

Veröffentlicht am 10.10.2012 in Kommunalpolitik

Die Besuchsdelegation

Aus Zeitgründen ist es mir bislang noch nicht gelungen, die Gemeinschaftsschule in Wüstenrot (und damit in meinem Wahlkreis) zu besuchen. Das werde ich aber nachholen.

Für alle, die wissen wollen, ob die neue Schulart auch in der Praxis funktioniert, veöffentliche ich hier gerne den Bericht über den Besuch meines Heilbronner Kollegens Rainer Hinderer bei "seiner" Starterschule, der Fritz-Ulrich-Schule in Böckingen. Ich finde, das klingt doch alles sehr gut für den Anfang!

Gemeinsam mit seinem Abgeordnetenkollegen Daniel Rekonen (Bündnis 90/Die Grünen, Wahlkreis Ludwigsburg) und den beiden Heilbronner Stadträtinnen Susanne Bay und Tanja Sagasser besuchte Rainer Hinderer Anfang Oktober die Böckinger Fritz- Ulrich- Schule, die zum Schuljahr 2012/13 gemeinsam mit 41 anderen Schulen in Baden- Württemberg als Gemeinschaftsschule an den Start gegangen ist.

„Auch wenn drei Wochen nach Schulart noch keine wirklich repräsentative Bewertung dieser neuen Schulart vorliegen kann, war es uns doch wichtig, relativ schnell das Gespräch mit der Schule zu suchen“, erklärte Rainer Hinderer die Motivation für den Besuch. „Erste Eindrücke und die Erfahrungen aus der Vorbereitungszeit in den Sommerferien gibt es ja bereits. Zudem hat uns die Atmosphäre in der Klassenstufe 5 interessiert, in der die Schülerinnen und Schüler nun nach dem Prinzip der Gemeinschaftsschule lernen.“

Und so besuchten die vier Politiker/innen gemeinsam mit Schulleiterin Frau Ziemer und ihrem Stellvertreter Herrn Rüger die Fünftklässlerinnen und Fünftklässler, die fürs neue Schuljahr auf die Fritz- Ulrich- Schule gewechselt waren. Zur Zeit des Besuchs beschäftigten sich diese in drei Lerngruppen (jeweils eine in einem der beiden neu gestalteten Klassenzimmer und eine im PC- Raum) mit Mathe, Deutsch und Englisch.

Diese so genannte „individuelle Lernzeit“ findet jeden Tag in der dritten Schulstunde und freitags ganze drei Stunden statt und wird von einem Lernbegleiter bzw. einer Lernbegleiterin betreut. So nennt man in der Gemeinschaftsschule die Lehrerinnen und Lehrer, weil dieser Ausdruck das Konzept, das hinter dieser Art des Lernens steht, besser beschreibt. Während der individuellen Lernzeit können die Schülerinnen und Schüler selbst wählen, mit welchem Unterrichtsfach sie sich beschäftigen und ob sie zum Üben einfache, mittlere oder schwierige Aufgaben wählen. Dabei sitzen sie in Vierergruppen an so genannten „Lerninseln“ zusammen. Dabei wird darauf geachtet, dass die Gruppen nicht homogen sind, sondern dass Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichen Leistungsniveaus gemeinsam lernen und sich gegenseitig helfen.
Dokumentiert wird alles in „Lerntagebüchern“, die von der Schule selbst entwickelt wurden. Immer freitags findet im Rahmen der individuellen Lernzeit ein Gespräch zwischen Schüler/in und Lernbegleiter/in statt, in dem die Lernleistungen der vergangenen Tage und die Aufgaben für die nächste Zeit besprochen werden. So lernen die Schülerinn und Schüler, sich selbst einzuschätzen, gleichzeitig behält der/die Lernbegleiter/in einen Überblick über die Entwicklung und den aktuellen Wissensstand der Kinder.

Unterschrieben wird das Protokoll dieses Gesprächs übrigens nicht nur von den Lernbegleiter/innen und den Eltern, sondern auch vom Kind selbst. Hier erkennt man einen weiteren Anspruch der Gemeinschaftsschule: neben der individuellen Förderung der Schülerinnen und Schüler geht es auch darum, diese viel stärker als bisher als eigenständige und selbstbestimmte junge Menschen zu sehen und ernst zu nehmen.

„Was uns wirklich überrascht hat, ist die positive Atmosphäre und die Ruhe, die während dieser individuellen Lernzeit herrscht“, erklärte die Schulleiterin Frau Ziemer, die das Projekt Gemeinschaftsschule gemeinsam mit den Kollegium und den Eltern voran getrieben hatte. „Die Schülerinnen und Schüler erkennen, dass sie mehr Verantwortung haben, als im herkömmlichen Unterricht und entwickeln so eine neue Lernkultur.“ Es komme praktisch nicht mehr vor, dass ein Teil der Klasse einfach abschalte und nur noch physisch im Klassenzimmer anwesend sei. In den kommenden Monaten soll der Anteil der individuellen Lernzeit nach und nach ausgebaut werden. Jedoch nur bis zu etwa 50 Prozent der Unterrichtszeit. „Uns ist es wichtig, dass die Schülerinnen und Schülern auch gemeinsam in größeren Verbünden als den Lerngruppen lernen. So kann vermieden werden, dass das einzelne Kind sich nur noch auf sich selbst konzentriert.“

Alles in allem ist die Gemeinschaftsschule also gut aus den Startlöchern gekommen. Darin war man sich beim anschließenden Gespräch einig. Frau Ziemer hob noch einmal das Engagement des gesamten Kollegiums hervor: „Eines ist klar, ohne eine Mannschaft, die hinter dieser Schulart und der Idee der individuellen Förderung steht, ist eine Gemeinschaftsschule nicht umsetzbar.“ Dies ist an der Fritz- Ulrich- Schule auf jeden Fall gegeben, weil die Idee, Gemeinschaftsschule zu werden, nicht von wenigen, sondern von allen Beteiligten an der Schule getragen wurde. Deswegen ist die Spannung auch groß, wie sich die Gemeinschaftsschule weiter entwickelt, wie viele Anmeldungen zum nächsten Schuljahr vorliegen werden und ob vielleicht bereits zum zweiten Halbjahr des aktuellen Schuljahrs Kinder aus anderen Schulen in die Böckinger Schule wechseln wollen, die neben der Gemeinschaftsschule in Wüstenrot bisher die einzige im Stadt- und Landkreis Heilbronn ist.

Für die Zukunft formuliert Frau Ziemer vor allem zwei Wünsche an die Landes- und einen an die Kommunalpolitik: Mehr und besser zugeschnittene Fortbildungsmöglichkeiten für die Lehrerinnen und Lehrer und die Schaffung von Rahmenbedingungen für eine Regionale Bildungsplanung, da sich nur so eine vernünftige Verteilung von Schularten über Landkreise und Regionen erreicht werden könne. Die beiden Landtagsabgeordneten sagten zu, die Anregungen mit nach Stuttgart zu nehmen und berichteten, dass insbesondere in Sachen Regionale Bildungsplanung bereits Vorschläge in den entsprechenden Arbeitskreisen und Gremien diskutiert würden.

Die Stadt Heilbronn wird vor allem bei der Ausstattung der Gemeinschaftsschule gefragt sein. Die für die jetzigen Fünfer umgebauten Klassenzimmer kosten pro Raum in etwa 15.000 Euro. Dieses Geld wird vor allem für neues Mobiliar benötigt, um überhaupt die räumlichen Voraussetzungen für Gruppenarbeit und die individuelle Lernzeit zu schaffen. Da ohne diese Investition ein Unterricht nach den Regeln der Gemeinschaftsschule nicht möglich wäre und die Umwidmung der Fritz- Ulrich- Schule quasi ad absurdum geführt werden würde, sagten Susanne Bay, Tanja Sagasser und Rainer Hinderer zu, sich im Gemeinderat dafür einzusetzen.

 

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